Fortuna Canta

Fortuna Canta

Stefanie Brijoux – Sopran und Harfe
Katrin Krauß-Brandi – Blockflöten
Ute Faust – Fidel und Blockflöten
Holger Faust-Peters – Fidel und Organetto

 


 

Das Ensemble Fortuna Canta widmet sich mit Leidenschaft der höfischen Musik des ausgehenden Mittelalters.

Ob Werke aus der Bibliothek der mailändischen Visconti, eines päpstlichen Hofes oder aus dem geheimnisvollen Codex Chantilly – 700 Jahre nach ihrer Entstehung

fasziniert diese Musik Interpreten wie Hörer immer wieder aufs Neue. Tiefsinnige poetische Texte sind verwoben mit komplexer Rhythmik und spezieller Harmonik. Der Drang damaliger Komponisten, die Grenzen des Notier- und Spielbaren auf ungeahnte Ebenen zu heben, wird hier spürbar. Fortuna Canta gelingt es stets, auch die emotionale Seite dieser Musik zu ergründen und dadurch das Publikum zu berühren. Eine besondere Stärke liegt dabei in der Präsentation der musikalischen Programme durch spannende und anschauliche Moderationen, die in der Fantasie des Zuhörers ein farbenreiches Bild einer längst vergangenen Zeit entstehen lassen.

Das Ensemble bringt die selten zu hörenden Kompositionen mit Feingefühl und Sachkenntnis auf die Bühne. Die Musiker/innen entwickelten eine individuelle Handschrift, die sich durch Klangvielfalt und Farbenreichtum auszeichnet. In der Musik des Trecento bzw. der Ars Subtilior wird dies unter anderem durch eigene virtuose Diminutionen, ergänzende Stimmen und facettenreiche Instrumentierung erreicht, ohne jemals den Stil der Zeit aus den Augen zu verlieren. Auch bei Ausflügen in die aufblühende Renaissance erweisen sich die vier als profunde Kenner ihres Fachs.

Ihre Ausbildung erhielten Stefanie Brijoux, Katrin Krauß, Ute Faust und Holger Faust-Peters in Deutschland, der Schweiz, Italien und den Niederlanden. Zu ihren Lehrern zählen u.a. Maurice van Lieshout, Pedro Memelsdorff, Maria Jonas, Randall Cook, Marc Lewon und Uri Smilansky.

CD: Fortune Obscure - Die Schicksalsballaden des Codex Chantilly

Erscheint am 13.3.2020
Fortune Obscure - Die Schicksalsballaden des Codex Chantilly

„Ach, ich sehe mein Herz an sein Ende gelangen wegen seiner Sehnsucht nach dem Geschenk der Liebe“
Eine Annäherung an den Codex Chantilly

Viel wurde in den vergangenen Jahren geforscht und geschrieben über diese Sammlung spätmittelalterlicher Musik. Man spekulierte darüber, wessen Hände an der Ausfertigung des prächtigen Manuskrips beteiligt waren und wer den Auftrag zur Zusammenstellung dieser Musik gab. Man fragte sich, ob Baude Cordier selbst Veränderungen an der Sammlung vornahm – der Komponist, dessen zwei Werke aufgrund ihrer ungewöhnlichen graphischen Notation weltberühmt wurden. Musikwissenschaftler rätselten darüber, warum die ersten Seiten dieser Sammlung feh-len und welche Personen sich hinter manch einem Komponistennamen verbergen. Diverse Anschauungen darüber kursieren. Eindeutige Antworten gibt es nicht.

Unser Zugang ist ein sehr persönlicher, wir wollen beschreiben, wie diese Handschrift uns in den vergangenen Jahren begleitet hat, wie sie uns inspiriert und gefordert hat.

Beschäftigt man sich mit der Musik des ausgehenden Mittelalters, dann begegnet man fast unvermeidlich immer wieder Werken aus dem Codex Chantilly. Diese Sammlung  von über 100 Stücken verschiedenster Komponisten ist ein grandioses Beispiel für die unglaublich vertrackte mehrstimmige Tonkunst Ars Subtilior, die in ihrer rhythmischen Komplexität viele Werke davor und bis hinein ins 20. Jahrhundert in den Schatten stellt. Unter den Auftraggebern für diese Werke waren sowohl französische Könige und Fürsten als auch die in Avignon residierenden Päpste und Gegenpäpste.

Einige dieser Stücke begleiten uns seit Jahren und haben von ihrer Faszination auf uns seither nichts eingebüßt. Und sie sorgen auch nach etlichen Aufführungen in Konzerten immer wieder für Diskussionen zwischen uns, fordern neue Ideen und wollen noch verändert werden. Das anonyme Stück Ung lion say beispielsweise erhielt von verschiedenen Mittelalterexperten die unterschiedlichsten Vorschläge hinsichtlich der Vorzeichen, die in dieser Epoche nur teilweise zwingend vorgeschrieben sind. Auch unsere Version mag hier als ein weiterer Vorschlag gelten, der keinen Anspruch auf alleinige Richtigkeit erhebt und möglicherweise auch bei uns weiterhin verändert wird. Die Musikwissenschaft nennt das die musica ficta causa pulchritudinis, eine veränderte Musik um der Schönheit willen. Beinahe jede Musik aus dieser Zeit erfordert derartige Tonhöhenveränderungen, eine Einladung zu eigenen Lösungen in dieser Fülle findet man sonst so häufig allerdings nicht.

Der offensichtliche Wettstreit der Komponisten um die komplexeste, subtilste Musik bedeutet nach unserer Überzeugung nicht, dass die Musik theoretisch, verkopft oder errechnet klingen soll, so wie das einige Musikwissenschaftler noch vor etlichen Jahren glaubten. Mancher vertrat die Meinung, die im Codex vertretenen Stücke seien unspielbar, also ein reines Gedankenkonstrukt. Uns hingegen interessiert besonders der gesangliche Aspekt vieler Werke und fordert uns dazu heraus, Lösungen zu finden, die in Besetzung und Tonlage unserem Ensemble ent-sprechen und die auch das Publikum berühren. „Sehr hat die Süße, Freundliche [Musik] gelitten…“ beschwert sich der Text von Plus ne put musique über einfältige, simple Kompositionen und fordert gerade auch in intelligenter, komplexer Musik die suavitas, die Süße.

Wir haben hier und da im Stil der Zeit eigene Stimmen hinzugefügt, so bei Hélas, je voy mon cuer ein eigenes Triplum (zu einigen Stücken existieren in verschiedenen Quellen verschiedene Tripla) oder eine eigene Diminution zu Belle, bonne, sage. Bei De ce que foul pense konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, eine Diminution aus dem ebenfalls berühmten Codex Faenza an Pierre de Molins Ballade anzuschließen, können Musiker doch in dieser Quelle dankbar Beispiele virtuoser Diminutionspraxis des ausgehenden Mittelalters studieren.

Beim Lesen der Texte unserer Stückauswahl waren wir besonders fasziniert von den Werken, in denen die blinde Schicksalsgöttin Fortuna ihre Hand im Spiel hat: Wie immer in dieser Zeit dreht sie ihr Rad stets nach unten und bereitet dem unglücklich Liebenden bitteren Schmerz: „He! Fortuna! Du machst Dich verhasst […] durch Dein Rad, das das Gute zugrunde gehen lässt und leichte Freude und Spiel in Tränen verwandelt“. Obwohl man ähnlichen Texten über die unerfüllte Liebe im ausgehenden Mittelalter auf Schritt und Tritt begegnet, haben wir diesen anklagenden Balladen und Virelais solche über die glückliche Liebe gegenübergestellt. Etliche Male wiederum entschieden wir uns für instrumentale Versionen.

Es ist sicher kein Zufall, dass in den vergangenen Jahren mehrere CDs mit Musik ausschließlich aus dem Codex Chantilly erschienen sind. Und es spricht für die außerordentliche Qualität der Kompositionen, dass es hier überraschend wenige Überschneidungen in der Werkauswahl gibt. Doch selbst bei gleichen Titeln begegnet man bei jedem Ensemble einer eigenen Auslegung des selben Notentextes. Und so möchte auch Fortuna Canta eine persönliche Interpretation eines Ausschnittes aus dieser einmaligen Handschrift beisteuern und damit zum Verständnis und Genuss dieser Musik beitragen, sei sie nun rätselhaft, kraftvoll, schillernd, liebenswert, verzweifelt oder beschwingt.

Holger Faust-Peters

Video

Interview während der Aufnahmen zu "Fortune Obscure"