Sofia Diniz
Sofia Diniz ist in Lissabon geboren, wo sie zunächst in der Musikhochschule Cello studierte. Während ihres Studiums in Lissabon besuchte sie in Portugal die Alte Musik Kurse der Academia de Música Antiga de Lisboa und der Casa de Mateus wo sie erstmals in Kontakt mit der historischen Aufführungspraxis der Musik des 17. und 18. Jhs kam und von Musiker wie Rainer Zipperling, Anner Bylsma, Jaap ter Linden und Paolo Pandolfo lernte und sich inspirieren ließ. Ihre Leidenschaft für barocke Musik und Instrumente führte sie nach Deutschland, wo sie Barockcello und Viola da Gamba bei Rainer Zipperling an der MHS Köln studierte. Es folgten Gamben Aufbaustudien in Den Haag und Brüssel bei Wieland Kuijken und Philippe Pierlot, die sie mit Bravour abschloss.
Sofia Diniz lebt bei Köln, von wo aus sie für Konzerte und Aufnahmen mit unterschiedlichen Kammermusik Ensembles und Barockorchester wie das Ricercar Consort (Philippe Pierlot), Collegium Vocale Gent (Philippe Herreweghe) und Hespèrion XXI (Jordi Savall) in verschiedene europäische Länder reist. Festivals wie Folle Journée (Frankreich), Bach Festival en Vallée Mosane (Belgien) oder Utrecht Early Music Festival (Niederlanden) zählen dazu aber besonders freut sie sich, wenn ihre Konzerttätigkeit sie in ihr Heimatland Portugal führt wo sie mit Ludovice Ensemble, Concerto Campestre oder Sete Lágrimas in den wunderschönen Kirchen, Klöster, Konzertsälen und Paläste Portugals spielt.
Sofia Diniz hat ihre eigene Kammermusikgruppe – Ensemble ConTrastes – was sich der Aufführung von Musik des 18. Jhr, komponiert für und mit Viola da Gamba widmet.
Webseite: sofiadagamba.com
CD: La Lyre d'Apollon
Jacques Morel (1690 – 1740)
Während der „Goldenen Periode“ in Frankreich, die das große Zeitalter von Ludwig XIV. und die nachfolgende Regentschaft umfasst und sich weit bis ins 18. Jahrhundert hinein erstreckt, gab es in Frankreich viele ausgezeichnete Musiker. Jacques Morel war einer von ihnen. Über sein Leben wissen wir sehr wenig, da es nur wenige zeitgenössische Quellen gibt und die gleichzeitige Existenz anderer Musiker desselben Namens zusätzlich Verwirrung stiftet. Möglicherweise haben wir es mit einer Musikerdynastie zu tun, wie es sie in jener Periode häufig gab, aber es ist schwierig, zwischen den verschiedenen Morels, die in dieser Zeit vorkommen, Verbindungen herzustellen. Außer Jacques Morel, der sich selbst als „Page de la Musique du Roy” [Page der Musik des Königs] bezeichnet, gibt es einen anderen (oder ist es derselbe?) „Sieur Morel“, einen ehemaligen Organisten in Soissons, der 1749 ein Buch ankündigt mit Stücken, die für eine fünfsaitige Pardessus eingerichtet sind; außerdem einen Antoine Morel (Opernsänger), einen Morel „de la Ferronerie“ (Komponist) und einen späteren Morel, der in den 1770er Jahren in Paris als Cembalobauer wirkte.
Jacques Morel hat uns nur sehr wenige Kompositionen hinterlassen, die jedoch alle von ausgezeichneter Qualität sind. Heute ruht sein geringer Ruhm auf einem einzigen Stück, einer erlesenen Chaconne für Flöte, Gambe und Continuo, die von Studenten und Liebhabern in vielen Schulkonzerten und Sommerkursen gespielt wird, während seine anderen Stücke unverdientermaßen wenig bekannt sind und selten gespielt werden. Außer seinem Buch mit Gambenstücken hat er uns auch ein sehr interessantes und seltenes Beispiel einer französischen Te Deum-Fassung hinterlassen mit dem Titel Traduction Françoise du Te Deum mise en musique [in Musik gesetzte französische Übersetzung des Te Deums], die 1706 veröffentlicht wurde, sowie eine Solokantate Les Tuilleries von 1717. Erstere ist ebenso aufwendig gestaltet wie die lateinischen Te Deum-Fassungen, die traditionell in Frankreich für militärische Siege, politische Bündnisse und Familienereignisse komponiert wurden. Das Werk ist für verschiedene Solisten, einen vierstimmigen Chor und Orchester geschrieben. Es enthält auch ein kleines aber exquisites Sopransolo mit „accompagnement de violle“ (Begleitung einer Gambe), was für diese musikalische Gattung überraschend ist. Das zweite Werk, die Kantate, hat einen allegorischen Text zum Thema, der sich darauf bezieht, dass der französische Hof während der Kindheit Ludwigs XV. im Tuillerien-Palast weilte. Morel und sein Librettist beflügeln hier die Vorstellungskraft durch reiche Anspielungen an die Schönheit von Palast und Park. Wieder fügt Morel Passagen für eine Sologambe ein, in denen er die ganze Klangfülle des Instruments ausschöpft.
1. SUITENBUCH
Es ist nicht genau bekannt, wann Morels erstes und einziges Buch mit Gambenstücken veröffentlicht wurde, aber das geschah sicherlich kurz nach dem 9. März 1709, als Morel das königliche Privileg in Versailles erhalten hatte, das ihm erlaubt, seine Gambenstücke und andere musikalische Werke – vokal und instrumental – acht Jahre lang zu setzen, zu verkaufen und zu verbreiten. Dieses Privileg wurde 1730 erneuert, und wahrscheinlich wurde das Buch zu diesem späteren Zeitpunkt erneut gedruckt.
Die Sammlung ist Marin Marais gewidmet, dem „Ordinarius der Kammermusik des Königs“, dem berühmtesten und einflussreichsten aller französischen Gambenspieler. Aus Morels Widmung erfahren wir, dass er bei Marais mehrerer Jahre studiert hat, und dass er für seinen Lehrer und dessen Werke die größte Hochachtung empfand. Marais‘ Kompositionen wurden zu Morels Hauptbezugspunkt, und er hielt seine eigenen Stücke für ein blasses Abbild des glänzenden Geschmacks und Stils seines Lehrers. Wie wir in dem gleichen Text weiter lesen, wurden Morels Kompositionen glücklicherweise von Marais für gut befunden und gefördert, beziehungsweise, wie Morel es unterwürfig ausdrückt „… das, was mich am meisten ermutigt hat, ist, dass Ihr meine ersten Versuche nicht missbilligt habt“. Während Morel über die Werke seines Lehrers spricht, weist er aber zugleich auf seine eigenen Vorstellungen hin und preist die Mischung aus „naturel“ und „agrément“. Dabei steht der Begriff „naturel“ [Natürlichkeit] hier für Ernsthaftigkeit, Mühelosigkeit und Einfachheit oder grundsätzlicher für die „Nachahmung der Natur“, die – in Übereinstimmung mit allen französischen Theoretikern und der öffentlichen Meinung – die wesentliche und meist gepriesene Qualität der Kunst war; während sich der Begriff „agrément“ [Annehmlichkeit, Zustimmung] auf den Sinn für Verfeinerung und Eleganz bezieht.
Nach der Widmung folgt das „Avertissement“ (eine Sammlung von Ausführungsanweisungen), in der der Leser darüber informiert wird, dass die außergewöhnlich detaillierten (aber unverzichtbaren) Hinweise bezüglich Bogenstrich, Fingersatz, Verzierung und Artikulation genau den Vorlagen und Anweisungen Marais‘ entsprechen. Es wird auch klar, dass Morel nicht nur darauf bedacht ist, die größtmögliche Öffentlichkeit zu erreichen, sondern dass es ihm besonders um die Liebhaber geht, die sicherlich seine wichtigste Kundschaft ausmachten. Um zu vermeiden, dass seine Stücke technisch zu anspruchsvoll werden, verwendet er Akkorde sparsam – das sogenannte „Jeu d‘Harmonie“ [Harmoniespiel], das von Du Buisson und Demachy favorisiert wird – und zielt stattdessen darauf ab, die „singende Qualität“ der Gambe auszuschöpfen – das „Jeu de Mélodie“ [Melodiespiel], das von Sainte Colombe und seinen Schülern Jean Rousseau und Marin Marais bevorzugt wird. Trotzdem kommt Morel nicht umhin, einige Stücke mit mehr Akkorden einzufügen, um „denjenigen zu gefallen, die die Harmonie lieben“. Dass er die Noten als Partitur veröffentlicht und nicht wie üblich in Einzelstimmen, begründet er mit seinem Interesse für den Amateurmarkt: Einerseits erleichtert dies die Aufgabe für den weniger erfahrenen Begleiter, andererseits können die Stücke so auch auf dem Cembalo allein gespielt werden.
Morels Sammlung umfasst vier Suiten für siebensaitige Bassgambe mit Continuo-Begleitung. Die gewählten Tonarten – A-Moll, D-Moll, D-Dur und G-Dur – gehören zu den am häufigsten verwendeten in der französischen Musik dieser Zeit und auch zu den wirkungsvollsten auf der Gambe, da sie die beste Resonanz und Vielfalt im akkordischen Spiel bieten. Die Anordnung von zwei Suiten in Moll und zwei Suiten in Dur mit dem Höhepunkt der großartigen Chaconne am Schluss bietet eine Art Gleichgewicht, das noch durch das Prélude der ersten Suite in Form einer französischen Ouvertüre unterstützt wird, was wiederum einen passenden Anfang der ganzen Sammlung darstellt. Morels sorgfältige Organisation zeigt sich auch darin, dass jede Suite die gleiche Satzfolge hat: Prélude, Allemande, Courante, Sarabande und Gigue. Diese Satzfolge, die uns heute als typische „Barocksuite“ geläufig ist, wurde zu jener Zeit in Frankreich jedoch selten verwendet. Diese Folge wird in jeder Suite etwas variiert, indem kleinere Tänze (Menuet und Gavotte) und Charakterstücke (meist nach der Gigue) eingefügt werden. Die dritte und die vierte Suite enthalten außerdem einen besonders virtuosen Satz (eine Boutade bzw. eine Fantasie), der jeweils unmittelbar auf das Prélude folgt und dieses vervollständigt.
Die meisten Tanzsätze weisen die besonders typischen Merkmale ihrer Art auf und sind stilistisch unverwechselbar französisch. Trotzdem sind einige dezente italienische Einflüsse bemerkbar, und es befinden sich eine Gigue à l’Angloise und eine Gigue à l’Italienne in der dritten und vierten Suite. Einige der Tanzsätze tragen, der zeitgenössischen französischen Praxis folgend, Namen wie Sarabande L’Agréable in der ersten Suite; Allemande La Jolie, Courante La Dacier und Gigue L’Inconstante in der zweiten; Allemande La Brillante und Sarabande L’Aurore in der dritten; Rondeau Dauphin in der vierten. Die Charakterstücke sind oft große Rondeaus (La Bretonne, Le Folet, Rondeau Dauphin) mit ziemlich komplexen Strukturen dank einer Vielzahl von Wiederholungen und wechselnden Refrains; aber es gibt auch einige Charakterstücke, die auf kurzen Sätzen mit offensichtlichem Tanzcharakter basieren: La Fanchonnette und La Guérandoise sind ziemlich einfache Gavotten. Solche kurzen Sätze wie Menuette und Gavotten sind beispielhaft prägnant und scheinen sich gut zum wirklichen Tanzen zu eignen.
Einige wenige Sätze sind weniger an Tanzmustern orientiert, sondern dienen vielmehr dazu, verschiedene technische Besonderheiten oder Ausdrucksmittel zu erkunden. Die Boutade de Sainct Germain in der dritten Suite ist klar an Johann Matthesons Definition von „Kompositionen, die an nichts gebunden sind, und nur der Imagination folgen,“ orientiert und von improvisatorischer Natur, ähnlich den Boutaden von Marais, Caix d’Hervelois und Rebel. Die Fugue ist ein komplexer virtuoser Satz, der die polyphonen und harmonischen Möglichkeiten der Gambe auslotet. Échos de Fontainebleau spielt offensichtlich mit den dynamischen Gegensätzen und ist den Échos in Couperins zweitem Concert royal sehr ähnlich. Schließlich gibt es noch die Fantasie, einen kurzen improvisatorischen Satz mit komplexen Saitenübergängen.
Morels Stücke sind trotz einiger virtuoser Sätze im allgemeinen nicht auf die Zurschaustellung von Technik ausgerichtet, sondern konzentrieren sich mehr auf die eloquente Wiedergabe menschlicher Gefühle durch einen kultivierten, erlesenen und durchdachten instrumentalen Zugang. Demgemäß werden subtile Verzierungen und Variationstechniken eingesetzt wie die verzierten Reprisen in den typisch französischen Doubles (Allemande La Brillante, La Guérandoise), in den Refrains der Rondeaus mit verzierten Reprisen (La Bretonne, Le Folet, Rondeau Dauphin) oder in verzierten „petite reprises“ (Sarabande der zweiten Suite).
Im Rahmen dieser Aufnahme, kooperierte Sofia Diniz mit der Edition Güntersberg (Günter und Leonora von Zadow) für die modernen Notenausgabe der vier Suiten für Viola da Gamba von Jacques Morel (G321/G322).